Rückblickend betrachtet war das Semester nicht so dolle. Einerseits gab es wieder ein Stundenplanchaos, das sich in zahlreichen Kurswechseln äußerte und andererseits war ich fast jede zweite Woche krank. Von November bis Januar. Gerade im Januar war es nervig zwei Wochen krank zu sein, weil ich mich eigentlich auf meine Prüfungen vorbereiten wollte. Ende Januar dann der Schock in der Vorlesung. Die Listen der Staatsexamensprüfungen werden ausgehängt und die Prüfungen sind doch nicht erst im März, wie ich dachte, sondern beginnen Anfang Februar. Und ich hatte nicht mal den zweiten Prüfungsschwerpunkt ausgearbeitet. Und dann die Aussage des Dozenten. „Es kann Ihnen gar nichts passieren in der Prüfung. Sie können auch mit einer 5,3 (!!!!!!!!) bestehen.“ WAS?! Da das erste Staatsexamen aus 8 Prüfungen und einer wissenschaftlichen Arbeit besteht, zählt am Ende der Durchschnitt und daher kann man auch eine Prüfung mit einer 5 abschließen. Aber ernsthaft? Das kann er doch nicht ernst meinen? Das kann doch nicht das Ziel sein? Auch die Vorstellung, wenn ich mit einer 5 aus der Prüfung kommen würde….ich war etwas schockiert. Auf diese Art, bei der man anfängt mit Lachen und nicht mehr aufhören kann. So saß ich Tränen lachend mit seelischer Unterstützung in Form von Angel am Telefon in der Bibliothek, die Augen schwarz von der wasserlöslichen Mascara. Der Blick auf die Liste im Prüfungsamt lässt gleich den Puls steigen. 20. Februar, 10.30 Uhr. Prüfer: Prof. Lockhart. Nein, nicht der. Ich habe extra den Kurs gewechselt, um ihm zu entfliehen. Ich werde ihn einfach nicht los. Was solls, wenigstens ist die Prüfung nicht Anfang Februar, das wäre nicht gut gegangen.
Es war hart. Die 900 Seiten Fachliteratur lesen sich eben nicht von allein. Und die anderen Prüfungen will man ja auch nicht vernachlässigen. Und die Protokolle in TC wollen auch noch geschrieben und manche sogar korrigiert werden. Zwischendurch ist es mir immer wieder so schwer gefallen mich zum Weiterlernen zu motivieren. Und es gibt Tage, da geht es auch einfach nicht. Aber ich habe es überstanden. Ich habe brav die Fachliteratur gelesen, das Grundwissen in Form der letzten 6 Semester aufgefrischt und mir auch was seriöses zum Anziehen gekauft.
Doch irgendwie kann ich die Argumentation zu meinen Thesen immer noch nicht. Herzklopfen. Während meine Vorgängerin im Büro des Profs sitzt, schaue ich auf meine Karteikarten. Ich habe das alles echt gut durchdacht, aber ob ich das in der Prüfung auch so zeigen kann? Schließlich wird in der Prüfung vorwiegend meine Prüfungs-Performanz bewertet. Prof. Lockhardt begrüßt mich mit einem Lächeln und ergreift meine Hand. Wir gehen in sein Büro, der Mitarbeiter des Lehrstuhls sitzt am Tisch und schreibt fleißig Prüfungsprotokolle. Auf dem Tisch stehen Gläser und Kaffeetassen. Ein Glas Wasser wäre gut, aber ich trau mich nicht zu fragen. Die Formalien werden geklärt, mein Name, mein Studiengang und meine Fächer werden gefragt. „Naja, Chemie können die Schüler ja bis zum Ende der Sek II nicht“, sagt Lockhardt. „Bei MIR schon!“; erwidere ich. „Sehr gut, schon die erste gute Antwort im Prüfungsgespräch!“ Er schaut konzentriert auf mein Thesenpapier. „Womit möchten Sie anfangen?“ Ich beginne mit zwei Erfahrungen aus meinem Praxissemester. (Ich lass die jetzt weg, sonst wird’s zu lang) Die Idee dazu kam von einer Freundin. Obwohl Lockhart nicht der Protokollant ist, schreibt er etwas auf. Wir gehen zu meinen Thesen über. Ich beginne mit der Ersten und erzähle kurz ein bisschen zur Theorie. Es geht um das Berliner Modell. Ich zeige Stärken und Schwächen auf, die Weiterentwicklung zum Hamburger Modell und welche Defizite dennoch nicht behoben wurden. Lockhart stellt ein paar Fragen zur Umsetzung in der Praxis, dann geht’s zur nächsten These. Die Konstruktivistische Didaktik fasse ich in wenigen Sätzen in der Theorie zusammen. Bei der Erwähnung von John Locke meint Lockhart, ich hätte mich um Kopf und Kragen geredet. Ich lasse mich trotzdem nicht verunsichern und komme geschickt aus der Nummer wieder raus. Puh. Geschickt heißt hier übrigens Raten. Tja, sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit. Hat funktioniert. „Wollen Sie zum Konstruktivismus noch etwas ergänzen?“ Ich bejahe und argumentiere für die Notwendigkeit von Lehrern im Konstruktivismus. Weiter geht’s mit dem Thema Beurteilen. Die Theorie überspringen wir direkt, weil er der Meinung ist, dass ich das sowieso alles kann. Wir sprechen direkt über Möglichkeiten der Verbesserung der Objektivität und wie das im Schulalltag umsetzbar ist. Ich habe mir den Teil Unterrichtspraktisch nicht so genau überlegt, aber mir fallen spontan dann doch einige Möglichkeiten ein. Zur letzten These haben wir nur knapp zwei Minuten gesprochen und bereits nach 20 Minuten Prüfung sagt Lockhart: „Sie können jetzt rausgehen!“ Ich bin verunsichert, aber mir bleibt ja nichts übrig. Während die Prüfer sich beraten, darf ich die Prüfung validieren. War die Prüfung fair? Hat der Prüfer Hilfestellungen angeboten? War die Atmosphäre positiv? War der Raum angemessen?
Ich warte schüchtern vor der Tür des Prüfungsraumes. Lockhart kommt raus und holt mich wieder ins Zimmer. Jaaa, also beide Prüfer konnten einfach nichts finden, was sie kritisieren könnten. Der Einstieg mit den beiden Erfahrungen kam sehr gut an, da ich keine Geschichten erzählt habe, sondern systematisch beobachtet habe und daran Forschungsfragen abgeleitet habe. Äh…ja genau… Ich habe mich nicht aus der Ruhe bringen lassen und die geforderte Transferleistung war auch kein Problem. Herzlichen Glückwunsch, 1,0! Das Schulsystem kann sich auf mich freuen. Woohoo. „Geben Sie es zu,“ sagte Lockhart, „die Prüfung war zu einfach.“ Ich überlege kurz, aber er hat Recht. Ich ging richtig zufrieden aus der Prüfung und war mit Sicherheit 10 cm größer. Vielleicht waren das aber auch nur die Schuhe.